Warum beklagst du dich?

Ein Impuls unser Mitbruder von Brasilien, Frei Betto (Carlos Alberto Libânio Christo), übertragen ins Deutsche bei Br. Viktor Hofstetter.

Warum beklagst du dich in deinem Haus isoliert zu sein? Hast du schon an jene gedacht die leiden, weil sie kein Zuhause haben wo sie leben könnten und mit dem ständigen Risiko angesteckt zu werden? Oder könnte es sein, dass dein Herz ein verabscheuungswürdiges Zimmer eines Egos geworden ist, wo es keinen Platz für jemand anderen gibt?

Warum beklagst du dich, wenn du jetzt in einem Luxusgefängnis lebst mit der Freiheit deinen Tagesablauf zu bestimmen und das Essen zu wählen, das dir schmeckt? Denke an die, die in sehr langen Schlangen warten und leiden um eine warme Mahlzeit von einer wohltätigen Institution zu bekommen.

Warum beklagst du dich, weil du ein Geburtstagsfest oder eine Hochzeit absagen musstest und ohne Gegenleistung für die Kosten aufkommen musst? Was ziehest du vor, ein Fest zu feiern, bei dem das Coronavirus unter deinen Gästen zirkuliert oder dein Leben und das der Anderen für ein späteres Fest zu schützen?

Warum beklagst du dich die lang geplante und herbeigesehnte Reise jetzt nicht antreten zu können, gezwungen in deinen eigenen vier Wänden verbleiben zu müssen? Wäre vielleicht eine einfache Fahrkarte zum Tod besser?

Warum beklagst du dich nicht auf die Strasse gehen zu können, deine Freunde zu treffen und zur alten Routine von Arbeit und Freizeit zurückzukehren? Du kannst immerhin noch telefonieren oder zuhause im Homeoffice arb-eiten und deine eigenen Gymnastikübungen erfinden.

Warum beklagst du dich eine alte Person zu sein und zu den Verlet-zlichsten zu gehören? Ist es dir schon einmal durch den Kopf gegangen, dass das Beste am Alter ist, nicht jung gestorben zu sein? Dieses Alter hast du erreicht, auch weil du dich ein paar Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte um dein Leben gkümmert hast.

Warum beklagst du dich gezwungen zu sein deinen Laden oder dein Büro schliessen zu müssen, wissend, dass dein Gewinn weniger sein wird? Kannst du dir vorzustellen wie es wäre, wenn man diese Einschränkungen nicht verordnet hätte und die Pandemie bis zu dem Punkt angewachsen wäre, dass du und deine Liebsten direkt betroffen wären?

Warum beklagst du dich über das, was dir als Einschränkung oder Verlust erscheint? Hast du nie an die Menschen in Kriegssituationen, an die Flüchtlinge und an jene die keinen Zugang zu irgendeinem Gesundheitssystem haben gedacht? Zähle nicht deine Verluste auf, zähle besser deine Gewinne zusamm-en als einer, der am Leben ist, sich guter Gesundheit erfreut und die Wärme der Familie spüren darf.

Warum beklagst du dich die Einsamkeit nicht ertragen zu können, die dich zu einer intimeren Begegnung mit dir selbst zwingt? Ist es nicht eher an der Zeit eine Bilanz deines eigenen Lebens zu ziehen, deine tiefsten Überzeugungen und Werte zu überdenken? Ist es nicht der Moment dich neu zu erfinden?

Beklage dich nicht! Du hast ein Dach über dem Kopf, garantiertes Essen und gute Gesundheit. Du bist ein Privilegierter. Beklage dich über jene, die nichts von dem haben, was du hast. Sie haben das nicht so gewählt, sondern sind Opfer eines ausschliessenden und selektiven Wirtschaftssystems geworden, in dem die Interessen des privaten Kapitals über dem kollektiven Recht stehen.

Versticke nicht in deiner Klage. Ziehe daraus die Kraft um das, was du als ungerecht betrachtest zu verändern. Und pass auf! Glaube nicht, dass du unsterblich bist. Dein Tag und meiner werden kommen. Geben wir auch nicht vor die Pläne Gottes beschleunigen zu können. Es gibt im Leben keinen grösseren Wert als das eigene Leben.

Bewahre deinen Pessimismus für besser Tage auf. Und wiederhole das “Gebet” von Fernando Pessoa: “Herr, behüte und beschütze mich. Gib mir das, was ich als deines betrachtete. Herr, befreie mich von mir selbst”.   

Frei Betto vel Carlos Alberto Libânio Christo (Foto: Br. Viktor Hofstetter OP)

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