Geschichte der Palmeselin

Was wenn der Palmesel diesmal auf Rädern daherkommt?

In der Karwoche, die mit dem Palmsonntag begonnen hat, gibt es in der römisch-katholischen Tradition viele Bräuche und Gepflogenheiten, unter anderen auch Prozessionen und Bittgänge, in denen verschiedene Figuren auftreten. Vielleicht ist es gut, wenn in Zeiten des Coronavirus das alles abgesagt werden musste und wir Zeit haben uns zu erinnern, dass die ganze Passionsgeschichte ein Weg ist, nicht nur der Kreuzweg. Und in der Tat können wir vieles nicht wirklich nachvollziehen ohne uns selbst zu bewegen. Diese Bewegung bedeutet aber nicht nur unbedingt einen äusserer Weg gehen, wir können uns auch innerlich bewegen, ganz nach dem Motto des Mystikers unserer Zeit Dag Hammarskjöld: «Die längste Reise ist die Reise nach innen!» Dazu habe ich mich an eine Figur der Karwoche erinnert, die den meisten Leuten wohl kaum noch ein Begriff ist: Der Palmesel.

Gerade im Landesmuseum von Zürich gibt es davon eine schöne Sammlung. Bei der Vorbereitung zum 26. Ökumenischen Zürcher Kreuzweg übernahm ich 2. Station, bei der wir in unmittelbarer Nähe zum Museum Halt machen wollten. Gerade in Zeiten grosser Mobilität ist es wichtig immer auch einen Halt einzuplanen. Durch das Virus eingeschränkt, kommt man auf viele Gedanken. In meiner Erinnerung tauchten plötzlich Bilder auf, so etwa wie wir vor vielen Jahren einen dieser Palmesel ausge-liehen haben und er uns auf unserer Prozession durch die Stadt begleitete. Natürlich fragten sich schon damals viele: Was soll denn das? Was genau ist die Bedeutung dieses Holzesels auf Rädern?

Hier kurz einiges zu seiner sonderbaren Geschichte. Die Palmprozession mit grün-en Zweigen und Hymnen erinnert an den festlichen Einzug Jesu in Jerusalem auf dem Rücken einer Eselin. Sie ist seit dem 7. Jahrhundert belegt. Seit dem 10. Jahr-hundert ritten die Dorfpfarrer bei der Palmprozession auf einem Esel mit. So können wir in der Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich von Ulm lesen, wie er auf einem Esel ritt. Weiter heisst es auch: «Da Esel sich dabei häufig oft recht störr-isch verhielten, wurden sie später durch einen hölzernen Esel mit einer reitenden Figur Christi ersetzt». Allerdings ist diese Aussage nur die halbe Wahrheit.

In Tat und Wahrheit ist es wichtig Folgendes festzuhalten: Zum Ersten ist es nach der biblischen Erzählung eine Eselin. Das Mat-thäus-Evangelium sagt klar: «Eine Eselin mit ihrem Fohlen» (21, 3). Weil Matthäus den Einzug Jesu in Jerusalem im Lichte von Sacharjas 9, 9 deutet, zitiert er aus dem Buch des Propheten: «Juble laut, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.» Die entsprechende Fussnote der Einheits-Bibel geht noch einen Schritt weiter: «Der Messias wird als Vertreter der armen Leute eine friedliche, sozial gere-chte Herrschaft aufrichten». Zudem wird «friedfertig» als Eigenschaft des Königs oft auch mit «bescheiden und sanftmütig» übersetzt. Bei Sacharjas heisst es sogar: «Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einer Eselin, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin». Dem folgen unmittelbar danach als Gegensatz dazu die Worte «Streitwagen aus Efraim» und die «Rosse aus Jerusalem», die – so heisst es da – vernichtet werden sollen. Das Bild suggeriert also der Charakter der Eselin in ihrer Sanftmütigkeit und ihrem geduldigen Tragen soll auch im Reiter abbilden. Mit Sicherheit geht es in dieser Geschichte nicht um einen störrischen oder dummen Esel, so wie der Volksmund als Schimpfwort davon Gebrauch machte: Du Palmesel! Es soll auch Zeiten gegeben haben, da der Brauch des Palmesels von der Obrigkeit verboten wurde, weil damit viel Unfug getrieben wurde.

Das führt uns zur anderen berühmten Ge-schichte der Bibel: Die Erzählung von Bileam und der Eselin (Numeri 22-24). Auch hier ist zuerst die Rede von einem Esel als simples Lasttier, den der Prophet braucht um möglichst schnell zum König der Moabiter zu kommen. Und so steht da kurz und bündig: «Am Morgen stand Bileam auf, sattelte seinen Esel und ging mit den Hofleuten aus Moab». Erst im weiteren Verlauf der Erzählung wird aber deutlich, es ist nicht irgendein Esel, sond-ern eine Eselin mit einer bestimmten Be-gabung, weil Gott gar nicht gefiel was Bileam tat.

Darum braucht er eine Eselin mit besonderen Fähigkeiten. Weil sie be-gabt ist, sieht sie mehr als der Prophet auf ihrem Rücken. «Die Eselin sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen … und wich ihm auf das Feld aus. Da schlug Bileam sie, um sie auf den Weg zurückzubringen». Und es geschieht noch zweimal so, aber Gott lässt die kluge Eselin nicht im Stich! Er will den Propheten durch sie eines Bess-eren belehren. «Als die Eselin den Engel des Herrn sah, ging sie unter Bileam in die Knie. Bileam aber wurde noch wütender und schlug die Eselin mit dem Stock. Da öff-nete der Herr der Eselin den Mund, und sie sagte zu Bileam: ‘Was habe ich getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst?’ Bileam erwiderte: ‘Weil du mich zum Narren hältst …» «Die Eselin antwortete ihm: ‘Bin ich nicht deine Eselin, auf der du seit eh und je bis heute geritten bist? War es etwa je meine Gewohnheit, mich so gegen dich zu benehmen?’ «Da musste Bileam zugeben: Nein.» Aber «nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen und er sah den Engel des Herrn mit dem gezückten Schwert in der Hand. Da verneigte sich Bileam und warf sich auf sein Gesicht nieder» (22, 22-28).

Die Eselin des Bileam hat viele Künstler in-spiriert. Es lohnt sich einen Blick auf das sehr eindrucksvolle Gemälde zu werfen, das der Grossmeister Rembrandt zu zur Geschichte geschaffen hat. Es stellt den Augenblick dar, in dem die Eselin unter Bileam in die Knie geht und dieser voller Zorn wieder zum Schlag ausholt; die Ese-lin dreht sich zu ihm um und beginnt zu sprechen. Bemerkenswert ist wie die sprechende Eselin Bileam nicht nur zur Einsicht bringt, sondern auch zum Be-kenntnis und zur Umkehr bewegt.

«Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen und er sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen mit gezücktem Schwert in der Hand. Da verneigte sich Bileam und warf sich auf sein Gesicht nieder» (22, 31).

Es ist bemerkenswert wie allein am Gesichtsausdruck der Eselin die ganze Dramatik der biblischen Geschichte abzulesen ist. François Cheng, der chinesisch-französische Philosoph hat in einzigartiger Weise auf diese grosse Kunst von Rembrandt hinge-wiesen. Er spricht davon wie der Maler es meisterlich versteht «das Gesicht zu ent-zaubern (dévisager le visage) und die Facetten des Geheimnisses eines Gesichtes zu ergründen. Und weiter: «Zwischen Schönheit und schrecklicher Grimasse wird auf einem Gesicht eine ganze Bandbreite von Ausdrucksweisen konzentriert dargestellt: Zärtlichkeit, Entrückung, Jubelklang, Schwung und Suche, Ektase, Einsamkeit, Melan-cholie, Zorn, Enttäuschung, Verzweiflung …». Es lohnt sich in einer stillen Stunde nicht nur die Geschichte des Palmeselin zu betrachten, sondern auch die Kunst und alle anderen Darstellungsweisen zur Hand zu nehmen.

Br. Viktor Hofstetter, OP

Br. Viktor Hofstetter, OP (Foto : Br. Pierre de Marolles)

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